onsdag 31. august 2016

Soziale Urteile und Rationalität bei Entscheidungen: Urteilsheuristiken und Erwartungen

Soziale Urteile und Rationalität bei Entscheidungen: Urteilsheuristiken und Erwartungen

Rationalität bei Entscheidungen

  • Einbeziehen von allen möglichen relevanten Informationen bei der Urteilsfindung ist in vielen Situationen nicht möglich
  • als Folge verzerren Personen unbewusst in ihrer Wahrnehmung bestimmt Ereignisse und Informationen, so dass es zu einem fehlerhaften Urteil kommen kann
  • Folge → Gesetze der Logik und Rationalität sind nicht immer relevant für die Entscheidungsfindung und das Verhalten von Individuen

Urteilsheuristiken

  • Urteilsheuristiken = unaufwendige Nutzung momentan zur Verfügung stehender Informationen für die Urteilsfindung
  • Urteilsheuristiken sind zweckdienlich und einfach anzuwenden, führen oft zu brauchbaren Urteilen es kann aber auch zu Fehlurteilen und systematischen Verzerrungen kommen, weil nicht alle für eine optimale Urteilsfindung erforderlichen Informationen berücksichtigt werden
  • Urteilsheuristiken sind einfache Daumenregeln, mit denen sich Urteile schnell und effizient bilden lassen → vereinfachende Entscheidungsregeln, werden auf leicht zu erhaltende Informationen angewendet und erlauben ein hinreichend genaues Urteil unter geringem Verarbeitungsaufwand
  • Leichtigkeit der Abrufbarkeit einzelner Informationen: die Verfügbarkeitsheuristik
    • Individuen greifen auf Informationen zurück, die leicht aus ihrem Gedächtnis abgerufen werden können → je leichter ein Ereignis aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann, desto höher wird die Häufigkeit / Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses eingeschätzt
    • Voraussetzung für die Anwendbarkeit sind Kategorisierungsprozesse → beziehen sich auf die menschliche Neigung Personen, Situationen, Ereignisse aufgrund gemeinsamer charakteristischer Merkmale bestimmten Kategorien zuzuordnen
    • aus Verfügbarkeitsheuristik resultieren aber auch Fehlurteile, da die Leichtigkeit der Erinnerung durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst wird
      • recency effect → kürzlich eingetretene Ereignisse werden leichter erinnert, als länger zurück liegende
      • salience effect → subjektive Besonderheit des Ereignisses übt Einfluss auf die Verfügbarkeit dahingehend aus, ob das Ereignis besondere Aufmerksamkeit des Individuums erregt hat
      • congruency effect → stimmt der Erinnerungs- mit dem Enkodierungskontext überein, wird das Ereignis leichter erinnert
    • Leichtigkeit der Abrufbarkeit von Informationen als vermittelnder Mechanismus der Verfügbarkeitsheuristik → empfundene Leichtigkeit der Abrufbarkeit der Informationen übertrifft inhaltsbasierten Effekt
  • Urteile unter Rückgriff auf Ähnlichkeit und Merkmalsverteilung: Repräsentativitätsheuristik
    • ist die Urteilsfindung auf Basis von Kategorisierungsprozessen
    • Urteile über die Repräsentativität eines Ereignisses für eine Kategorie werden getroffen
    • je typischer der konkrete Fall für das Modell ist, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt, dass der Fall diesem Modell zugehörig ist und umso eher wird der konkrete Fall der Kategorie zugeordnet
    • wenn neben der Repräsentativität andere Faktoren die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit beeinflussen kann diese Heuristik in Fehlurteilen resultieren
    • Vernachlässigung der Basisrate → Häufigkeitsverteilung in der betreffenden Grundgesamtheit findet kaum Berücksichtigung bei der Urteilsfindung
    • weniger Basisraten-Vernachlässigung bei Informationen über die absolute Häufigkeit → fehlerhafte Entscheidungen treten auf, wenn Personen nicht gut mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff umgehen können
    • Nicht-Beachtung der Basisrate kann evtl. dadurch erklärt werden, dass Versuchspersonen die Aufgabe aufgrund ihrer Formulierung eher als psychologische denn als statistische Problemstellung betrachten
    • zusammenfassend → bei der Anwendung der Repräsentativitätsheuristik findet eine individuelle Persönlichkeitszuschreibung zu einer Kategorie statt ohne die Informationen der Basisrate genügend zu berücksichtigen
  • Anker- und Adjustierungsheuristiken
    • beinhaltet das Phänomen, dass Urteile bezüglich numerischer Größen in Richtung eines Ausgangswertes (Anker) ausgerichtet werden
    • im Verlauf des Urteilsprozesses werden die Anker verändert (adjustiert) um zu einem endgültigen Urteil zu kommen
    • Ankereffekt = Annäherung eines Urteils an einen wahrgenommenen Ausgangswert → vorhergegangene quantitative Informationen beeinflussen die Urteilsfindung, Individuen orientieren sich bei der endgültigen Urteilsbildung an diesem Ankerwert
    • Ankereffekt zum Beispiel im juristischen Kontext zu finden → Staatsanwaltforderung (Ankerwert) – richterlicher Urteilsspruch
    • first-offer-effect → Bereich monetärer Verhandlungsführung; eingebrachter Anker seitens des Verkäufers kann bessere Verhandlungsergebnisse zugunsten des Verkäufers herbeiführen
    • kognitive Mechanismen, die der Anker- / Adjustierungsheuristik zugrunde liegen:
      • numerische Primingprozesse → Ankereffekt lässt sich auf höhere Verfügbarkeit des numerischen Stimulus zurückführen → Anker = aktivierter numerischer Wert
      • selektives Hypothesentesten → Menschen gehen von einem bestimmten Ausgangswert aus und suchen Informationen, die mit dem Ausgangswert vereinbar sind / diesen bestätigen → positive Teststrategie → generieren selektiv Informationen, die mit der Hypothese konform sind
      • semantisches Priming → Darbietung eines Kontextreizes beeinflusst die Verarbeitung eines weiteren nachfolgenden Begriffs, falls zwischen beiden Begriffen eine semantische oder kategoriale Beziehung besteht
      • positives selektives Hypothesentesten führt dazu dass das aktivierte semantische Wissen für den Urteilsprozess besonders kognitiv zugänglich ist → dieses Wissen ist bei der Urteilsbildung besonders einflussreich → es kommt zu einer Verzerrung in Richtung des Ausgangswertes
  • Emotionsheuristik
    • Effekt von Stimmung in Bezug auf das Urteilsvermögen von Probanden; Menschen neigen dazu bei guter Laune verschiedenste Einstellungsobjekt und Personen positiver zu beurteilen als bei schlechter Laune → Stimmungslage dient als Heuristik für die Beurteilung
    • es bestehen subjektive Schwierigkeiten zwischen der emotionalen Reaktion auf eine Sache und der möglicherweise bereits vorher bestehenden Stimmung zu unterscheiden → Personen interpretieren oft fälschlicherweise ihre Stimmung als Reaktion auf das Urteilsobjekt → führt zu stummungskongruenten Urteilen
    • Emotionsheuristik / Affektheuristik kommt insbesondere dann zum Tragen wenn eine schnelle und vereinfachte Urteilsbildung erforderlich ist
    • interessant ist, dass die Nutzung der momentanen Stimmung als Informationsgrundlage nicht notwendigerweise in stimmungskongruenten Urteilen enden muss → unter bestimmten Voraussetzungen kann eine schlechte Stimmung auch positive Urteile / eine gute Stimmung auch negative Urteile hervorrufen
  • Simulationsheuristik (Kontrafaktisches Denken)
    • Versuch Aspekte geschehener Tatsachen mental umzuändern → bezieht sich auf die Leichtigkeit, mit der ein anderer Verlauf der Dinge vorgestellt werden kann
    • man findet sich oft nur schwer mit bestimmten Ereignissen ab → versucht Ereignisse durch alternative Verläufe gedanklich zu verändern → häufig bei negativen Erfahrungen
    • weiterer Auslöser ist die Knappheit mit der etwas verfehlt wurde
    • Typen kontrafaktischen Denkens:
      • Richtung → Aufwärts / positiv gerichtetes Denken → gedankliche Verbesserung; abwärts /negativ gerichtetes Denken → gedankliche Verschlechterung
      • Aktion → aktiv ; inaktiv; → Addition / Subtraktion eines Aspektes vom momentanen Status
      • Fokus → Fokus einer Handlung oder eines Ereignisses liegt bei einem selbst oder bei einer anderen Person
    • Funktionen kontrafaktischen Denkens
      • Personen werden durch die Erkenntnis der Ursachen früherer Entwicklungen in die Lage versetzt, zukünftige ähnliche Ereignisse von vornherein in erwünschte Bahnen zu lenken
      • mentales Entfliehen vor schlimmen Ereignissen und den dadurch ausgelösten Affekten
    • Kontrastmechanismus → Ereignis stellt sich schlimmer dar, wenn eine wünschenswertere Alternative möglich gewesen wäre und besser wenn eine weniger wünschenswerte Alternative möglich gewesen wäre
    • kausale Inferenz → einem Einflussfaktor wird eine hohe Bedeutung beigemessen, wobei es leicht geschehen kann dass andere wichtige Einflussfaktoren vernachlässigt werden
    • viele der beobachtbaren Urteilseffekte (Zuteilung von Schuld, Verantwortung und Verursachung) lassen sich aus der Wirkung kontrafaktischen Denkens auf Ursachenzuschreibung erklären

Einfluss von Erwartungen auf kognitive Verarbeitungsprozesse

  • Schemata
    • Schemata stellen mentale Strukturen dar, die Personen dazu dienen, das eigene Wissen über die soziale Realität in Kategorien zusammen zu fassen
    • das gesamte Wissen um die Welt wird in Schemata abgespeichert / kognitiv repräsentiert
    • die Beurteilung anderer Menschen oder des Selbst werden als Personenschemata / Selbstschemata bezeichnet
    • Schemata, die sich auf zeitlich geordnete Situationen beziehen werden als Ereignisschemata / Scripts bezeichnet
    • Schemata, die sich auf Mitglieder eines Geschlechts oder einer Rasse beziehen nennt man Stereotypen
    • Schemata verknüpfen die Eindrücke aus der sozialen Umwelt zu mentalen Konzepten, so dass sie schneller zugeordnet werden können und zu einer schnelleren Entscheidungsfindung beitragen
    • Menschen haben bestimmte Erwartungen / Hypothesen an die soziale Realität, welche wiederum unsere Informationsaufnahme und unser Verhalten beeinflussen
    • Schemata sind deshalb wichtig weil ohne bereits gebildete Schemata neue Eindrücke nicht zugeordnet und verbunden werden können → helfen Mehrdeutigkeit sozialer Situationen zu erkennen und zu reduzieren
    • automatisches Denken in Schemata hilft somit unsere soziale Umwelt kognitiv zu ordnen und soziale Situationen mit bisherigen Erfahrungen in Bezug zu setzen
    • mentale Schematisierungen können auch negative Auswirkungen auf menschliches Verhalten ausüben
  • Perseveranzeffekt
    • bereits bestehende Schemata können weiter bestehen, selbst nachdem sie sich als unzutreffend herausgestellt haben → unbewusstes Eigenleben von Schemata
    • Erwartungen und Schemata werden selbst bei eindeutiger und widersprüchlicher Evidenz nur unzureichend revidiert
  • Hypothesentheorie der Wahrnehmung
    • Personen verarbeiten Informationen häufig nicht rational, sondern neigen zu einer verzerrten Informationsverarbeitung und Urteilsbildung
    • Hypothesentheorie verdeutlicht den Einfluss bestimmter Erwartungen und Schemata auf Wahrnehmungsprozesse und setzt Denken, Erinnern und Wahrnehmen in Bezug
    • Wahrnehmung beginnt bereits vor der Eingabe von Reizinformationen mit der Bereitstellung einer Wahrnehmungs-Erwartungs-Hypothese (perceptual set), die beeinflusst inwiefern man etwas wahrnimmt und interpretiert
    • wie sehr das Wahrnehmungsergebnis durch die Hypothese bestimmt wird, hängt von der Stärke der Hypothese und der Anzahl der Alternativhypothesen ab
    • das perceptual set über das eine Person verfügt, entsteht im Sozialisationsprozess und wird durch neue Erfahrungen laufend verändert
    • die Bereitstellung dieser Erwartungshypothese beeinflusst wie nachfolgende Informationen verarbeitet werden
    • Informationen werden meist im Sinne der subjektiven Erwartung interpretiert und der Hypothese angepasst
    • die Informationen, welche zur Erwartungshypothese konform bewertet werden, bekräftigen die bestehende Erwartung und führen so zur Selbstbestätigung einer Hypothese
    • die Hypothesentheorie leistet einen grundlegenden Beitrag zur Erklärung von sozialen Wahrnehmungs- und Interpretationsprozessen und verdeutlicht den Einfluss bestehender Erwartungen auf die Wahrnehmung der sozialen Umwelt
  • sich-selbst-erfüllende Prophezeiung
    • ist der Umstand, dass Schemata durch unser Verhalten unbeabsichtigt Realität werden können
    • Menschen haben eine bestimmte Erwartung, wie eine andere Person ist
    • diese Erwartungen wirken sich darauf aus, wie sie sich dieser Person gegenüber verhalten → führt dazu dass die Person entsprechend der ursprünglichen Erwartung reagiert
    • dem „Teufelskreis“ aus sich-selbst-erfüllender Prophezeiung sind Grenzen gesetzt → unter bestimmten Bedingungen treten sich-selbst-erfüllende Prophezeiungen mit geringer Wahrscheinlichkeit auf → ob in der sozialen Interaktion das eigentliche Wesen des Individuums zum Ausdruck kommt, spielt eine ausschlaggebende Rolle

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